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Lilli Wallot hat sich nach dem Abitur für einen Freiwilligendienst im Ausland entschieden. Ihre Erlebnisse berichtet sie uns im folgenden Interview:

Du bist nun schon seit einiger Zeit unterwegs. Wieso bist du zurzeit in der Mongolei?

Ich bin seit sechs Monaten (Mitte März) mit dem Freiwilligendienst kulturweit in Ulaanbaatar. Im Februar reise ich zurück nach Deutschland (also 12 Monate). Kulturweit ist ein vom Auswärtigen Amt bezuschusster Fwd der Deutschen UNESCO Kommission (DUK). Es ist somit keine „Entwicklungshilfe“ sondern „Austausch“ bzw. Arbeit im kulturellen Bereich. Die DUK arbeitet mit Bildungsorganisationen wie dem Goethe Institut, dem DAAD und dem PAD/ZfA, aber auch der Deutschen Welle und den UNESCO National Kommissionen. Ich bin mit dem PAD, dem Pädagogischen Austauschdienst an der Alexander von Humboldt Schule (Schule 38). Das ist eine staatliche Schule mit Deutschschwerpunkt. Die Schüler lernen ab der dritten Klasse Deutsch, Englisch wird aber auch verpflichtend unterrichtet.

Inwiefern unterscheidet sich das Leben in der Mongolei „kulturell“ von Deutschland? Gibt es etwas, was sich die Deutschen davon „abschauen“ könnten?

Die Unterschiede sind oft so fein, dass ich nicht sicher bin, ob die meisten nicht allein in meiner persönlichen Wahrnehmung liegen. Natürlich ist auch nichts auf ein Land als Ganzes zu beziehen.

Was Höflichkeitsvorstellungen betrifft, habe ich das Gefühl, dass die meisten Menschen, denen ich begegne, sich erstmal diskreter verhalten. Ein lautes Hallo, wenn z.B. jemand einen Raum betritt, habe ich seltener erlebt als ruhiges Eintreten.  

In Erinnerung an den gelegentlichen Futterneid auf und um den Schulhof, ist mir aufgefallen, das (mitgebrachtes) Essen anders bzw. manchmal vergleichsweise „vehementer“ geteilt wird. Nachdem auf mein „Nein, danke“ bei manchen Kolleginnen nur ein „Nimm“ zurückkam, hat meine Betreuerin mir erklärt, dass es im Grunde höflicher wäre, zumindest ein Stück zu probieren. Das ist natürlich nicht als Zwang zu verstehen, es ist allerdings einfach verbreiteter sofort etwas anzubieten und es ungeachtet des Hungerlevels erstmal anzunehmen.

Ebenfalls im Kontrast zu meinen Erfahrungen in Deutschland ist mir aufgefallen, dass die meisten meiner Begegnungen kaum dazu neigen, sich zu beklagen. Das ist nicht nur auf den guten alten Smalltalk bezogen (die typische Antwort auf „Was gibt es Neues?“ ist im Mongolischen „Oh, es ist friedlich“) sondern auch in engeren Freundschaften hat sich bisher kaum eine Person über Herausforderungen oder einfach nur das Wetter leidlich klagend beschwert. Es wurde angesprochen und wir konnten relativ offen darüber reden, doch das fatalistische Leiden, das die meisten in Deutschland (mich eingeschlossen) oft an den Tag legen, blieb bisher aus. Das hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass es auf diese Art leichter ist positiv eingestellt zu sein, sodass ich daran arbeite, es „mit mir zurückzunehmen“. Vielleicht hat ja noch jemand Lust, sich diese Bescheidenheit abzuschauen.

Ein weiterer Aspekt, der sich unterscheidet, ist natürlich das Nomadenleben, das für große Teile der etwa 3 Millionen großen Bevölkerung auf unterschiedlichste Weise relevant ist.  Obwohl derzeit etwa ein Drittel bis die Hälfte der mongolischen Bevölkerung in Ulaanbaatar lebt, denken viele an das Nomadentum beispielsweise ihrer Verwandten und hoffen auf Regen für die Viehzüchter im Allgemeinen. Eine kasachische Aktivistin hat einen für mich interessanten Gesichtspunkt dieser Lebensweise hervorgehoben, als sie betonte, dass die hohe Mobilität eine unglaubliche Freiheit bringe, da zum Beispiel Ländergrenzen ursprünglich irrelevant waren. (In Kasachstan gibt es auch eine nomadische Tradition.) Diesen Freiheitsaspekt werde ich bei meiner Zukunftsplanung definitiv (abgewandelt) einbeziehen. Es ist selbstverständlich, dass das Nomadentum nicht nur aus Freiheit und Umziehen besteht, doch über seinen ganzheitlichen Charakter kann ich keine Aussage treffen.

Welche Aufgaben hast du an deiner Schule und was planst du in den nächsten Monaten vor Ort noch zu unternehmen?

In den letzten Monaten haben meine Schultage vor allem aus Ausspracheübungen, Gesprächen als Vorbereitung für die A1-und A2-Prüfungen und gelegentlichen Spielen während der Aufsicht bestanden. Oft saß ich einfach beobachtend im Unterricht, bis ich gebeten wurde, spontan irgendetwas mit den Schüler*innen der 3. bis 10. Klasse zu machen. Dabei war beispielsweise das deutsche Schulsystem zu erklären oder ein Märchen vorzulesen.

Große Freude haben mir meine eigenen Projekte, eine Schülerzeitung und eine Theatergruppe, bereitet. Für letzteres konnte ich mit einem anderen Freiwilligen eine weitere Schule besuchen und ein paar der Schüler*innen dort kennenlernen. Leider wurde beides von den Sommerferien in der Entwicklungsphase unterbrochen. Ich bin jedoch zuversichtlich, ab diesem September meinen Schwerpunkt auf diese Projektversuche und die Unterstützung der Prüfungsvorbereitung legen zu können.

Ansonsten gab es auch sehr viele spontane Aktionen. Ich habe kennenglernt, wie (aufwendig) es ist, Notentabellen zu erstellen und mich unvermittelt in einem Lehrerinnenchor wiedergefunden, bei dessen Präsentation ich (zum Glück) doch nicht teilgenommen habe. Mein nächstes Projekt ist jetzt aber zumindest Teile dieses (für mich) riesigen Landes zu sehen und die Sprache besser zu lernen!

Wieso hast du dich für diesen Freiwilligendienst entschieden und würdest du es anderen Abiturienten weiterempfehlen?

Mich dafür zu entscheiden, alleine auszureisen und bewusst in einem Land zu leben, über das ich vorher nicht viel wusste, halte ich für sehr wertvoll und empfehlenswert. Für mich war dabei wichtig, einen Ort tiefergehend kennenzulernen als nur als Touristin. Ich denke, dass „das Leben in einem Land“ so facettenreich ist, dass es kaum innerhalb einer so begrenzten Zeitspanne zu erfassen ist. Dennoch schätze ich es, einen genaueren Einblick gewährt zu bekommen. Die Hoffnung auf einen Perspektivwechsel, sinnvolle Aktivitäten und Austausch spielten natürlich ebenfalls eine große Rolle. Es ist kaum in Worte zu fassen, welche Bedeutung all das hatte, was ich erleben, sehen, fühlen durfte. Ich glaube auch, dass ich vermeintlich kleine Momente (positiv wie herausfordernd) weitaus mehr wertschätzen gelernt habe, da ich sie als Teil eines begrenzten Prozesses begreife. Jedoch ist dies sicherlich für „das Leben“ generell nutzbar.

An kulturweit haben mich die Schwerpunkte Bildung und Kultur wie auch die quasi- Ohnmacht bezüglich der Länderauswahl (man kann Weltregionen angeben und natürlich in der Bewerbungsphase seine Präferenzen betonen) gereizt. Ich mag die Auffassung, dass jeder Ort einen hohen Wert hat und für mich zudem unvermittelt einen persönlichen bekommen konnte.

Außerdem hatte der Begriff „Entwicklungshilfe“ einen negativen Beigeschmack für mich, weshalb ich kulturweit anderen Organisationsstrukturen vorgezogen habe.

Mittlerweile habe ich gelernt und denke viel darüber nach, dass auch meine Tätigkeiten durchaus kritisch zu betrachten sind, aber das ist ein Thema, dass wahrscheinlich jede*r für sich reflektieren muss.

Die Organisation selbst würde ich dennoch empfehlen. Trotz der großen Selbstständigkeit habe ich mich bisher, vor allem bei der Vorbereitung, immer gut betreut gefühlt. Die zwei der drei vorgesehenen Seminare, an denen ich teilgenommen habe, fand ich inhaltlich und menschlich sehr gewinnbringend, beispielsweise um sich mit anderen Freiwilligen zu vernetzten oder um über Erfahrungen zu sprechen.

Gab es bisher einen Moment, der dich besonders berührt hat oder aus dem du selbst etwas Wichtiges gelernt hast?

Die Momente, in denen ich lerne, sind so klein, dass ich manchmal erst später oder im Kontrast über ihr Ergebnis staune. Als ich einmal zu früh und verloren auf einer Schulveranstaltung aufgetaucht bin, teilte eine Schülerin unvermittelt ihre Kopfhörer mit mir, und eine Lehrerin, mit der ich noch nie gesprochen hatte, ergriff still meine Hand, um mich zum Kaffeestand zu führen. Zudem freundete ich mich damit an, einfach alleine herumzustehen und die Situation auf mich rieseln zu lassen.

Manchmal ist ein solcher Moment einfach die Frau im Obstladen, die mir ein „Bis Morgen!“ zuruft, nachdem sie sich trotz meiner Sprachlosigkeit mit mir unterhalten hatte. Letzteres hat mich natürlich sehr gefreut, da ich endlich das Gefühl hatte, ein wenig mehr zu verstehen und ein bisschen mehr als Teil des Alltags in meinem Viertel zu fühlen. Das Wichtigste an diesen Momenten war allerdings, dass ich mich verloren gefühlt habe, Menschen auf mich zugegangen sind. Ich denke, dass ich daraus lernen konnte, dass ich nie alleine bin, aber auch, dass es nicht schlimm ist, in einer unangenehmen Situation gestrandet zu sein, da ich nichts zu verlieren habe und danach selbst die Initiative ergreifen konnte, wenn ich das wollte. Ich würde es allgemein vielleicht als die Befreiung von sinnlosen Ängsten bezeichnen.

Großartige Erfahrungen waren auch zwei Festivals, die ich während der Ferien erleben durfte. Es war sehr inspirierend und wohltuend mich in die sehr befreite „Jugendkultur“ zu mischen, wodurch ich ganz andere Stimmungen aufschnappen konnte, als bei einem Spaziergang durch die Schulflure oder die Stadt. (Sie heißen Playtime und Intro, falls euch die Musik interessiert und ihr ein paar Bilder sehen möchtet.)

Am meisten berührt hat mich allerdings immer wieder diese wunderschöne, weite Natur. Mit nackten Füßen in einem schlammigen Flussbett zu stehen und von nichts als der unendlich scheinenden Weite der Berge umgeben zu sein, war ein solcher Moment. So komisch es klingen mag, hat diese Natureuphorie es geschafft, dass ich manchen Briefromanhelden besser verstehen kann und gleichzeitig Denkprozesse auf vielen Ebenen in mir angestoßen.

Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche dir weiterhin eine schöne Zeit in der Mongolei!

 

Das Interview führte Sarah E. Kühn (MSS 12).

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