Anfang September fielen sie erstmals auf – schwarze Aufkleber mit rosa-weißer Schrift und dem Schattenriss eines Frauenkopfes. Sie klebten an den Außenwänden, Laternen und Tischtennisplatten des Leininger-Gymnasiums und riefen mit dem Aufdruck „Kandel ist überall – Wir fordern Schutz und Sicherheit“ zum Handeln auf. Wer sich vor wem schützen soll, wird mit einem Blick auf die vergangenen Ereignisse des rheinland-pfälzischen Ortes Kandel deutlich.

Die Aufkleber spielen nämlich auf den Mordfall eines 15-jährigen Mädchens im Dezember 2017 an, welches in Kandel von ihrem Ex-Freund, einem minderjährigen Flüchtling, erstochen wurde. Nach der Tat kam es in Kandel selbst zu Demonstrationen rechtsextremer und rechtspopulistischer Gruppierungen, die in dem Mord keinen Einzelfall sahen, sondern ihn zum Anlass nahmen, allgemein gegen Flüchtlinge und Ausländer zu hetzen. Daraus entstand das Bündnis „Kandel ist überall“, welches sich von der gleichnamigen rechtspopulistischen Demonstration, zu der eine baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete aufrief, ableitet.

Dass mit den Aufklebern rassistisches und fremdenfeindliches Gedankengut verbreitet werden soll, ist eindeutig. „Das wird bereits durch die Website deutlich, die durch die Aufkleber beworben wird. Unter anderem wird hier Gunter Demnigs Stolpersteinoptik, die an die Opfer des Holocausts erinnert, verwendet – und so der Eindruck vermittelt, dass mit Flüchtlingen zusammenhängende Delikte oder Verbrechen eine Bedrohung für Deutsche darstellen, die in ihrer Dimension mit dem Holocaust vergleichbar wäre“, erklärt Herr Kröger, der die Wer-Sonst-AG unserer Schule leitet. Die Mitglieder der AG, die sich für gelebte Zivilcourage einsetzt, waren sich einig, dass etwas gegen die Aufkleber getan werden muss. „Nach dem Netzwerktreffen ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ am 18. September haben wir beschlossen, die rassistischen Aufkleber zu überdecken“, erzählt Hanna Glogger (10A), „Wir wollten ein politisches Zeichen setzen und zeigen, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit nicht an unsere Schule gehört“. Noch am selben Tag machten Hanna Glogger (10A), Katharina Hollingshausen (10A) und Felix Eichner (10A) mit Unterstützung von Herrn Kröger alle „Kandel ist überall“-Aufkleber auf dem Schulgelände ausfindig und überklebten sie mit „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“-Aufklebern.

Auch beim Schulbesuch der Landtagsabgeordneten von CDU, AFD und SPD am 09. November blieben die Aufkleber nicht außer Diskussion. Die Rheinpfalz berichtete am 10. November 2018 in dem Artikel „Das Wort Pogromnacht fällt kein einziges Mal“ zu den Gesprächen der Politiker mit den Schülern ebenfalls über die Aufkleber: „Ein Junge sagt, er könne nicht verstehen, weshalb in einer ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ wie dem LG im Gebäude der Aufkleber ‚Kandel ist überall‘ hängen bleibt. Damit weist der Schüler – unbeabsichtigt – auf ein grundsätzliches Problem hin, auf das ihn die Abgeordneten sogleich stoßen. Huth-Haage antwortet: ‚Warum hast du den Aufkleber nicht entfernt? Du, ihr alle, seid doch die Schule.‘“

Zunächst ist es wichtig zu betonen, dass die Aufkleber keineswegs im Gebäude, sondern nur am Außengebäude, sowie an Tischtennisplatten und Laternen zu finden waren. Dazu kommt, dass viele davon in einer Höhe aufgehängt wurden, die auf deutlich ältere Personen schließen lässt. Man kann deswegen davon ausgehen, dass es sich nicht um Schüler und Schülerinnen des Leininger-Gymnasiums handelt, die die rechtspopulistischen Aufkleber verteilten. 

„Wir möchten uns gegen das falsche Bild wehren, dass in dem Rheinpfalz-Artikel von uns Schülern und Schülerinnen unserer Schule – wenn nicht sogar unserer gesamten Generation – vermittelt wurde“, sagt Katharina Hollingshausen. Es stellt sich die Frage: Sind wir tatsächlich so politisch uninteressiert? Dass die Schüler und Schülerinnen der Wer-Sonst-AG in Eigeninitiative schon vor zwei Monaten alle „Kandel ist überall“-Aufkleber überdeckt haben, wird in dem Artikel nicht erwähnt. „Bereits Anfang September sind mir die „Kandel ist überall“-Aufkleber aufgefallen. Mich hat es erschreckt, dass an unserer Schule solche Aufkleber kleben“, fährt Katharina Hollingshausen fort. Mit Sicherheit sind einige Schüler und Schülerinnen an den Aufklebern vorbeigelaufen, ohne sie zu überkleben. Von einem in dem Rheinpfalz-Artikel dargestellten „grundsätzlichen Problem“ kann jedoch in keinster Weise gesprochen werden, wie das Engagement der Wer-Sonst-AG zeigt. „Ich bin seit über drei Jahren Mitglied der Wer-Sonst-AG, die sich für Zivilcourage einsetzt. Ich finde es wichtig, dass unser Engagement  gesehen wird“, betont Sophie Cochrane (MSS 11).

Sarah E. Kühn (MSS 12)

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