Tschick – „Roadmovie“ oder „Evergreen“?

Ob als Schullektüre oder als Schmöker für zwischendurch, ich würde die Wette sofort annehmen, dass über die Hälfte unter uns das Buch von Wolfgang Herrndorf gelesen haben. Denn „Tschick“ bietet eine willkommene Abwechslung zum „normalen“ Schulstoff und ist durchaus auch lehrreich – eine kostenlose Fahrstunde von Tschick im Preis inklusive.
Der Roman wird aus der Sicht von Maik Klingenberg erzählt, der vor dem ersten Treffen mit Tschick – eigentlich Andrej Tschichatschow – ein paar Problemchen am Hals hat: Seine alkoholabhängige Mutter, seinen gestressten Vater, der versucht, den finanziellen Ruin der Familie abzuwenden, und es mit der Treue nicht allzu genau nimmt, und schließlich Tatjana, Schulqueen und Maiks heimlicher Schwarm. Es scheint zuerst, als würde Tschick, der „As(s)i“ mit den „10€ KiK-Jeans“ und der permanenten Alkoholfahne, daran auch nichts ändern. Doch der Psycho und der As(s)i sind das perfekte Gespann. Und so kommt es schließlich auch, dass die beiden in den Sommerferien mit einem „ausgeliehenen“ Lada durch die Umgebung Berlins tuckern, immer in Richtung Walachei, und dabei einige außergewöhnliche Begegnungen haben – der „Adel auf dem Radel“ und Friedemann sind nur ein kleiner Ausschnitt.
Nun wurde dieser Bestseller von Kultregisseur Fatih Akin verfilmt und ist seit Mitte September in den Kinos zu sehen. Da unsere Klasse zur Zeit genau diese Lektüre in der Schule bearbeitet, gingen wir natürlich in den Film. Das eineinhalbstündige Roadmovie wurde jedoch bereits nach zwei Wochen nicht mehr aufgeführt – gerecht oder ungerecht?
Vorab muss erwähnt werden, dass einige Handlungen und Personen (wie der alte, schießwütige Kriegsveteran oder die hilfsbereite, aber tollpatschige Sprachtherapeutin) vollkommen ausgelassen wurden. Dafür gibt es einige Filmszenen, die im Buch nicht oder anders vorkommen. So z.B. die alte Kassette mit Aufnahmen von Richard Clayderman. Im Buch wird sie von beiden sehr abfällig beschrieben, im Film jedoch ist Maik absolut begeistert davon, was noch mehr das Klischee eines besserwisserischen Außenseiters verstärkt. Auch die Umkehrung des Klischees, dass jeder von einem „As(s)i“ aus der Sonderschule hat, fand ich selbst sehr gelungen: Tschick schreibt im Film zu seinem Einstand in der Klasse sogleich die beste Arbeit, während im Buch seine Noten von seinem Alkoholpegel abhängen.
Allerdings besitzt der Film durchaus auch Schwächen. Teilweise wirken die Dialoge zwischen Tschick und Maik mehr auswendig gelernt, als gespielt, wobei man bei 14-Jährigen auch noch nicht dasselbe erwarten kann wie bei erfahrenen Schauspielern. Aber dafür ist die Rolle der Isa, gespielt von Mercedes Müller, sehr gut dargestellt – auch wenn sie etwas älter wirkt als die Isa, die man sich beim Lesen vorstellt – und verstärkt somit noch den Eindruck, dass nicht genügend Zeit zur Vorbereitung der beiden anderen Hauptrollen aufgewendet wurde.
Letztendlich ist alles mal wieder reine Geschmacksache. Auch das Buch mit seiner teilweise mehr als seltsamen Grammatik und Ein-Satz-Struktur gefällt schließlich nicht jedem. Ich selbst würde nicht so weit gehen, das Buch als „Evergreen“ zu bezeichnen, doch im Vergleich zu den meisten Schullektüren ist es ein bunter Vogel und eine gute Ausweichmöglichkeit. Als negativ kann angesehen werden, dass sich nicht jeder mit den Hauptcharakteren identifizieren kann, was jedoch auch das Besondere an dem Buch ist. Denn mit den Chaoten, die mitgenommene Tiefkühlpizza mit ihrem Feuerzeug auftauen wollen und Konserven mitnehmen, ohne an einen Öffner zu denken, und ihrer langsam entstehenden Freundschaft sympathisiert man schließlich doch und ist auf das Ende gespannt – wobei sich dieses wiederum auch von dem des Films unterscheidet.
Kira Niederberger (10D)
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