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„Auf dem großen Passagierdampfer, der um Mitternacht von New York nach Buenos Aires abgehen sollte, herrschte die übliche Geschäftigkeit und Bewegung der letzten Stunden.“

– Schachnovelle –

„Als der bekannte Romanschriftsteller R. frühmorgens von dreitägigem erfrischendem Ausflug ins Gebirge wieder nach Wien zurückkehrte und am Bahnhof eine Zeitung kaufte, wurde er, kaum dass er das Datum überflog, erinnernd gewahr, dass heute sein Geburtstag sei.“

– Brief einer Unbekannten – 

Das Sammelwerk „Schachnovelle und andere Erzählungen“ von Stefan Zweig, herausgegeben im Jahr 2018 im Anaconda Verlag GmbH, umfasst sechs seiner Werke: „Brennendes Geheimnis“ (Erstveröffentlichung 1911), „Angst“ (entstanden 1912; Erstdruck 1925), „Brief einer Unbekannten“ (Erstdruck 1922), „Untergang eines Herzens“ (Erstausgabe 1927), „Verwirrung der Gefühle“ (Erstausgabe 1927) und „Schachnovelle“ (Erstausgabe 1943), von denen ich hier vor allem auf die Erzählung „Brief einer Unbekannten“ und auf die „Schachnovelle“ eingehen werde. 

Erstere besteht zum größten Teil aus dem Brief einer vermeintlich Unbekannten an den Romanschriftsteller R., die ihm darin, ausgelöst durch den Tod ihres Kindes, ihre Lebensgeschichte erzählt, die auch mit seinem eigenen Leben verbunden ist, ohne dass er etwas davon ahnt. Die Tatsache, dass er diesen Brief an seinem 41. Geburtstag erhält und ihn zum ersten Mal kein Strauß weißer Rosen erwartet, wird ihm Laufe des Geschehens noch eine Bedeutung erhalten und aufgeklärt werden…

In Stefan Zweigs „Schachnovelle“ wird die Überfahrt von New York nach Buenos Aires aus der Sicht eines unbekannten Ich-Erzählers dargestellt. Dabei ist einer seiner Mitreisenden besonders auffällig: Der junge Schach-Weltmeister Mirko Czentovic, der eine geradezu atemberaubende Lebensgeschichte aufweist, da er – im Gegensatz zu den üblichen Schachspielern – aus absolut ärmlichen Verhältnissen kommt und nichts anderes kann, als Schach zu spielen. Dabei hat er sich im Laufe der Zeit eine eigentümliche Arroganz zugelegt, da ihn einfach niemand schlagen kann. Zumindest bis zu dieser Überfahrt schafft es niemand. Doch plötzlich taucht ein merkwürdiger Österreicher auf, der, obwohl er seit über zwanzig Jahren nicht mehr Schach gespielt hat, den Weltmeister schlagen kann.  

Nach und nach berichtet er dem Erzähler seine Lebensgeschichte, damit beginnend, wie er von den Nationalsozialisten nach der Annexion Österreichs 1938 gefangen genommen wird. Doch anstatt in ein Konzentrationslager deportiert zu werden, muss er seine Zeit in einem Hotelzimmer verbringen. Erst mit der Zeit taucht man tiefer in seine Vergangenheit ein und erfährt, was an diesem Zimmer im Hotel Metropole so grausam und perfide war und weshalb der Österreicher seine scheinbare Rettung im Schachspiel gefunden hat. 

Stefan Samuel Zweig war ein österreichischer, jüdischer Autor, der 1881 als Sohn eines wohlhabenden Textilunternehmers in Wien geboren wurde. Bereits während der Zeit am Wiener Gymnasium begann er Gedichte zu schreiben, sein erster Gedichtband wurde 1901 veröffentlicht, seine erste Novelle, „Die Liebe der Erika Ewald“, erschien 1904. Nach seiner Matura (vergleichbar mit dem deutschen Abitur) promovierte er über „Die Philosophie des Hippolyte Taine“, wodurch er den Titel Dr. phil. erhielt, den ihm die Nationalsozialisten später jedoch entzogen. Vor Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914 reiste Zweig sehr viel, so z.B. nach Britisch-Indien (heute Indien, Pakistan, Bangladesch und Myanmar) und Niederländisch-Indien (heute Republik Indonesien), sowie nach Amerika. Nachdem er 1917 vom Militärdienst beurlaubt wurde, zog er in die neutrale Schweiz (Zürich), von wo er 1919 nach Salzburg zurückkehrte. Bereits 1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, sah er die Stellung der Juden auch in Österreich gefährdet. Außerdem wollte er nicht in Nachbarschaft von Adolf Hitler leben, dessen Domizil sozusagen in Sichtweite seines Zuhauses war. Nachdem es zu einer Durchsuchung seines Wohnhauses ohne ersichtlichen Grund kam, beschloss Zweig nach London zu emigrieren, wo er bis 1940 lebte. Aus Furcht, als Österreicher für die Engländer gleichbedeutend zu sein wie ein Deutscher und so als „enemy alien“, also als feindlicher Ausländer, zu gelten, siedelt er nach Brasilien um. Dort nahm er sich 1942 gemeinsam mit seiner zweiten Frau Charlotte Zweig mittels einer Überdosis Veronal das Leben, da er glaubte, sein Traum eines vereinten Europas wäre unwiderruflich zerstört. 

Zweig hat neben seinen Novellen und Erzählungen vor allem Biographien sowohl von historischen Personen wie  Marie Antoinette, Ferdinand Magellan, Lew Tolstoi und Georg Friedrich Händel, als auch von seinen Freunden wie dem belgischen Dichter Emile Verhaeren verfasst. Zu seinen bekanntesten Werken zählen seine Memoiren unter dem Titel „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“, in denen er sein Leben beginnend mit seiner Kindheit im Wien des 19. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges beschreibt. 

Seine Werke zeichnen sich vor allem durch die philosophische Note – teilweise von seinem Freund Sigmund Freud beeinflusst – und seine Sprache aus, die bildgewaltig, metaphorisch und „blumig“ ist. Er spielt gerne mit bereits bekannten Bildern und weitet sie aus. Durch seinen großen Wortschatz und die vielen verwendeten Adjektive schafft er es, seine eigenen Emotionen wie Trauer, Frust, Einsamkeit und Verzweiflung genauso darzustellen und für den Leser begreiflich zu machen wie Freude, Optimismus und Heiterkeit.

Am Anfang mag es etwas schwierig sein, die teilweise ewig langen Sätze zu verstehen (aus diesem Grund würde ich eine Altersstufe von 16 Jahren vorschlagen), aber man gewöhnt sich immer mehr daran und ist dann wirklich enttäuscht, wenn man die letzte Seite aufschlägt. Dafür sorgen nicht nur der Inhalt seiner Erzählungen, sondern vor allem die Leichtigkeit, wie er mit der Sprache umgeht, und sein Spiel mit Wörtern und Phrasen, wodurch sie gleichermaßen einprägsam wie auch ergreifend sind. 

Kira Marie Niederberger (MSS 13)

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