Die DS-Kurse der Oberstufe, sowie andere vereinzelte LGler, haben sich aufgemacht, in den Zuschauerrängen des Kongresszentrums Frankenthals Laienrichter zu spielen. Eine Kritik zu Schirachs „Terror“, der durch die Theatersäle zieht.
An die Ängste einer Gesellschaft zu appellieren, ist bekanntlich der leichteste Weg, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das gilt für Werbung, Versicherungen, Politik und Wahlkampf, implizite Ankündigung vermeintlicher Tests im Unterricht und letztlich auch für Kultur, in diesem Fall die Theater Deutschlands. Ferdinand von Schirach hat mit seinem interaktiven Theaterstück „Terror“, das seit 2015 international Bühnen und Zuschauerränge füllt, eine der akutesten Ängste dieses Jahrzehnts aufgegriffen. Die Ausgangssituation ist so populär, dass sie schon banal anmutete – wäre sie nicht so erschreckend: Ein Terrorist entführt ein Passagierflugzeug im deutschen Luftraum. Er kündigt an, es samt der 164 Insassen in ein mit 70.000 Menschen voll besetztes Fußballstadion in München stürzen zu lassen. Major Lars Koch, ein Flieger der Luftwaffe, widersetzt sich seinen Befehlen und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, indem er das Flugzeug „in letzter Sekunde“ abschießt. Der Zuschauer findet sich nun in einem Gerichtssaal wieder, seine Position hat sich vom unbedarften, passiven Rezipienten zum Schöffen, Laienrichter gewandelt. Eine vermeintlich realistische Gerichtsverhandlung wird vor seinen Augen heraufbeschworen, jeder einzelne soll am Ende nach „bestem Gewissen“ entscheiden: Ist Lars Koch für seinen Mord an 164 Menschen zu verurteilen oder wegen der Rettung der 70 000 freizusprechen? Kann man Menschenleben gegen Menschenleben abwägen, wenn die Dimension nur groß genug ist?
Tatsächlich steht der Zuschauer nicht ohne Orientierungshilfen da. 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht – grob zusammengefasst – dass der Staat weder zwischen Menschenleben abwägen noch töten dürfe (siehe Urteil zum Luftsicherheitsgesetz 2006). Weitere Beispiele aus der Rechtsphilosophie werden aufgeführt. Seitens der Verteidigung des Angeklagten werden mit emotionalen Worten, die Bilder von 9/11 aufgeweckt und instrumentalisiert. Es steht außer Frage, dass wir uns in einer geradezu perfekten Dilemmasituation befinden. Man könnte diese ethischen Wirrungen und Verwicklungen, die der Verstand während der Spielzeit und anschließend in der „Beratungspause“ anstellt, sogar ausgiebig genießen – ginge es nicht um eine verfassungsrechtlich sehr hohe Frage, die nicht einfach mal so schnell zwischen Sekt, Brezel und Toilettenkabine beantwortet werden kann. Dabei muss man Schirach zugutehalten, dass er mit seinem Konzept unsere demokratischen Prinzipien bis zur letzten Konsequenz verfolgt. Er hat es damit sogar in die ARD und nach China und Japan geschafft. (Auf einer Karte, kann man die Ergebnisse abrufen: http://terror.theater/)
Dennoch liegt der Fehler für mich gerade in der Konzeption des Stückes. Schirach arbeitet szenisch unverhüllt mit klaren, stereotypen Gegenpolen. Der fahrige Anwalt, dessen Spontanität und Appell an Emotionen, ein hohes Identifikationspotential mit ihm und dem Angeklagten bietet, steht der kalten, gänzlich rationalen Staatsanwältin gegenüber, die rhetorisch ausgefeilt die Verfassung als höchstes Prinzip der Entscheidungsfindung begründet. Der regelkonforme Offizier wiederum argumentiert für Koch, die weinerliche, verwitwete Ehefrau bedient hingegen die Gefühlsebene der Zuschauer für die Gegenseite. Ein dramaturgisch umgesetztes Dilemma des klassischen Spannungsfeldes Gefühl und Verstand. Schon beinahe satirisch ist jedoch die gewählte Situation des Anschlags. Ein Terrorist mit islamistischen Hintergrund, als wäre religiöser Fanatismus die einzige Motivation ein Flugzeug zu entführen und der Islam die einzige Religion, die jemals instrumentalisiert würde. Ein Fußballspiel in München. Was könnte die Deutschen mehr treffen als ein Angriff auf ihren geliebten Nationalsport, der für manche schon als kulturelle Instanz begriffen wird? Dies mögen Randaspekte des Stückes ein, die inhaltlich kaum thematisiert werden. Allerdings wäre es ignorant zu glauben, dass sie nicht zumindest unterbewusst eine Wirkung entfalten, wenn auch, dass man das Stück für realistisch hält, was ebenfalls höchst fragwürdig ist.
An diesem Abend wurde „Major Koch“ freigesprochen, wobei die plumpe Formulierung über den Schicksalstüren „schuldig“ und „unschuldig“, mit derer man auf dem Rückweg zu seinem Platz seine Entscheidung mitteilte, so manchen verwirrt haben mag. Ob das Stück gesellschaftlich und rechtlich etwas ändern wird und sollte, bleicht fraglich. Dennoch hat es den Verdienst, uns gerade durch die simple Veranschaulichung des Dilemma-Komplexes, das Thema etwas nähergebracht und interessante Diskussionen angestoßen zu haben.
Lilli Wallot (MSS13)
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