„Zugegeben, wir waren im Ausnahmezustand.“

Gefangen im Reich der Finsternis – ein Schicksal das die titelgebende Hauptperson Joran zu Beginn des Jugend-Fantasy-Romans von Lilli Thal, 2013 im FISCHER Taschenbuch Verlag erschienen, ganz sicher nicht erwartet hätte. Der kleine Bläuling, zu Beginn des Romans gerade erst zu einem richtigen Schmetterling entwickelt, freut sich, die Warnung eines Heufalters leichtfertig in den Wind schlagend, auf seine erste Teilnahme am sogenannten Rendezvous-Tag im Tal des Gläsernen Vorhangs (dem Wasserfall) und hofft, ein hübsches Schmetterlingsmädchen zu finden. Bevor er jedoch dazu kommt, neue Kontakte neben seinen drei besten Freunden Jauk, Jugo und Jorn zu knüpfen, gerät er in einen Konflikt mit vier Dolchwespen, die in schließlich ins Steinerne Reich hinter dem Gläsernen Vorhang verschleppen. Im Kontrast zu seiner gewohnten Umgebung, findet sich dort kein Lichtstrahl, keine Blume, ja, nicht einmal ein Grashalm. Das Reich untersteht den Käfern, die die Schmetterlinge als Sklaven u.a. in Bergwerken halten, um dort das sogenannte Offla abbauen zu lassen, das wie eine Droge bei den Käfern wirkt und sie satt, glücklich und zufrieden werden lässt. Leopold ist der tyrannische König des Reichs, der mithilfe seiner Geheimpolizei seine Diktatur aufrechterhalten und seine Untertanen unterdrücken kann. Der Gläserne Vorhang dient dabei als natürliche Barriere, die die Schmetterlinge in ihrem düsteren Gefängnis gefangen hält, da durch das Wasser ihre Flügel nass werden, sie so also ihre Flugfähigkeit verlieren und leicht wieder eingefangen werden können.

Aufgrund von Jorans geringer Körpergröße und Stärke wird er der Königin als Schmuckstück zugeteilt, die jedoch selbst nicht viel von der Herrschaft des Königs hält und im Geheimen die Widerstandsorganisation „Exodus“ (was so viel wie Auszug bedeutet) unterstützt. Joran, der ihr nur allzu gerne zeigen möchte, dass er mehr tun kann, als nur hübsch auszusehen, wird von ihr schließlich zu ihrem persönlichen Kurier beordert und übermittelt geheime Botschaften in das berüchtigte Gefängnis des Steinernen Reichs, in dem der Anführer der Exodus gefangen gehalten wird. 

Nachdem Joran miterleben muss, wie der Aufstand junger Exodus-Anhänger brutal niedergeschlagen wird, scheint alle Hoffnung verloren und die Unmöglichkeit ihres Vorhabens deutlich geworden zu sein. Aber Joran  gibt nicht auf, denn er glaubt an die Freiheit und den Frieden, den er in seinen jungen Jahren erlebt hat. 

Die Autorin des Jugendromans, Lilli Thal, ist eine deutsche Schriftstellerin, die mit ihrem Jugendkrimi „Kommissar Pillermeier“ ihr Debüt feierte. Dafür wurde sie 2002 mit dem Hansjörg-Martin-Preis für Kinder- und Jugendkriminalliteratur ausgezeichnet. Ähnlich erfolgreich war auch ihr Nachfolgewerk „Mimus“. Sie selbst lebt heute mit ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann in Herzogenaurach.

Der Jugendroman punktet vor allem durch die poetische und lebendige Sprache, ohne dabei überflüssige Schnörkel aufzuweisen. So werden die Schrecken des Steinernen Reichs überzeugend dargestellt, ohne dem Werk die Leichtigkeit zu nehmen. Die kurzen, prägnanten Dialoge gespickt mit einer Prise Humor lassen auf den fast 400 Seiten keine Langeweile aufkommen. Hinzu kommt die „große Klappe“ des Ich-Erzählers Jordan, die sogar den Dolchwespen zu Beginn des Romans direkt auffällt und durch die sich Jordan nur allzu oft in Schwierigkeiten bringt. 

Ein weiterer Pluspunkt sind die Charaktere in Thals Werk: So bedient sich die Autorin nur weniger Klischees. Jordan, eher ein Anti-Held, muss über sich selbst hinauswachsen, da er durch seine kleinen Macken (der kleine Bläuling kann nämlich ganz schön eitel sein) immer geerdet bleibt. Ebenso gilt dies für die Königin: Zunächst recht ruppig und abweisend wird schnell deutlich, dass sich unter dem harten Kern eine weiche Schale befindet – besonders auch in Bezug auf Jordan, den sie bald in ihr Herz schließt. Aber auch der tyrannische König, die Personifizierung des grausamen Bösewichts, muss hin und wieder mit seinen beständigen, väterlichen Gefühlen kämpfen. 

Thal schafft es, ohne sinnloses Blutvergießen und Schilderung der Grausamkeiten unter der Herrschaft des Tyranns, die Welt der Käfer und Schmetterlinge authentisch darzustellen und Spannung aufrechtzuerhalten. Unterschwellig zeigt sie dem Leser auch auf, worauf ein totalitäres System beruht und wie es funktioniert. 

Daher bietet dieser Roman, obwohl für eine Altersklasse ab 10 Jahren eingeordnet, auch viel Spannung und Stoff für ältere Leser.

Kira Marie Niederberger (MSS 13)

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