Im Interview: Frau Diehl
Bevor wir Frau Diehl in ihren wohlverdienten Ruhestand entlassen können, haben wir sie zum Interview gebeten. Gemeinsam blicken wir auf ihre vergangenen Jahre (am LG) zurück. Lest selbst, was sie alles erlebt hat.
Wieso haben Sie sich für den Beruf der Lehrkraft entschieden und wie kam es dazu, dass Sie Direktorin geworden sind?
„Lehrerin wollte ich werden, solange ich denken kann. Ich habe eine Schwester, die fünf Jahre jünger ist als ich. Sie hat in ihrer Kindheit sehr unter meinen Erziehungsversuchen gelitten. Noch heute spricht sie – natürlich im Scherz – gerne davon. Es hat mir immer Freude bereitet, anderen etwas beibringen zu können. Schon als Abiturientin hatte ich sehr viele Nachhilfeschüler/-innen. Auch während des Studiums habe ich regelmäßig unterrichtet. PES gab es damals noch nicht. Also habe ich Französischkurse an der Volkshochschule gegeben. Ich bin zweimal wöchentlich mit dem Zug nach Hause gefahren, um in Hettenleidelheim, wo meine Eltern wohnten, unterrichten zu können. Das war ein relativ großer Aufwand, aber es hat mir deutlich mehr Spaß gemacht als so manches Seminar, so manche Vorlesung an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, an der ich studiert habe. Dass ich Schulleiterin geworden bin, war einem Zufall geschuldet. „Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen“, schreibt Dürrenmatt in den 21 Punkten zu seinen „Physikern“. Ich hatte, nachdem ich 8 Jahre lang Mittelstufenleiterin am LG war, geplant, mich auf die Stelle des ersten Stellvertreters/der ersten Stellvertreterin zu bewerben. Das heißt, eigentlich wollte ich den „Job“, den heute Herr Gruber macht. Mit meiner Bewerbung fuhr ich zur ADD nach Neustadt und dort fragte man mich, warum ich nicht Schulleiterin werden wollte. Ich sprach mit meinem Mann und schrieb eine neue Bewerbung. Allerdings wollte man vonseiten der ADD nicht, dass ich Schulleiterin am LG, an meiner eigenen Schule, werde. Man wollte keine sog. „Hausbesetzung“. Es war damals unter anderem dem Engagement der Lehrkräfte, der SV und dem Schulelternbeirat zu verdanken, dass es geklappt hat.“
Was sind Ihre Aufgaben als Schulleiterin? Gab es eine, die Ihnen besonders Spaß gemacht hat?
„Als Schulleiter/-in repräsentiert man die Schule nach außen und nach innen. Man ist zuständig für die Schulverwaltung. Dazu gehören ganz viele Aufgabenbereiche: von der einfachen Beurlaubung eines Schülers/einer Schülerin bis hin zur dienstlichen Beurteilung von Lehrkräften. Letzteres ist kein einfaches Thema, beurteilt man doch erwachsene, voll ausgebildete Menschen. Abhängig von der dienstlichen Beurteilung ist, ob sie verbeamtet werden, befördert werden und teilweise auch, ob sie eine Stelle bekommen, wenn sie sich bewerben. Ich kann nicht sagen, dass das zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Ich habe immer viel lieber Schule gestaltet als verwaltet. Und auch als Schulleiterin haben mich pädagogische Fragen nicht losgelassen. Ich habe es in all den Jahren – egal in welcher Funktion – als großes Privileg empfunden, junge Menschen, also euch, auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden begleiten zu können. Von daher hat es mir immer sehr viel Spaß gemacht, den Abiturientinnen und Abiturienten nach 9 Jahren Gymnasial- und 13 Jahren Schulzeit ihr Abiturzeugnis überreichen zu dürfen. Ich freue mich sehr, auch in diesem Jahr zumindest das schriftliche Abitur noch begleiten zu können. Dass ich zum Halbjahr gehe, habe ich mir nicht ausgesucht. Es ist im Rahmen des Altersteilzeitmodells, das ich gewählt habe, leider nicht anders möglich. Auf jeden Fall wollte ich zum Abschluss auch noch einmal einen Leistungskurs. Und da man als Schulleiterin auch für die Unterrichtsverteilung verantwortlich ist, ließ sich das einrichten.“
Worauf achten Sie bei einem Unterrichtsbesuch?
„Wenn ich eine Lehrkraft im Unterricht besuche, bitte ich sie, mir im Vorfeld einen Unterrichtsentwurf zukommen zu lassen. Darin sind die Ziele der Stunde aufgeführt, aber auch die Unterrichtsreihe und die Planungen für das ganze Halbjahr bzw. Schuljahr. Der Entwurf enthält Bemerkungen zur Lerngruppe, einen Verlaufsplan und vieles mehr. Ich achte darauf, inwieweit es gelingt, dass die formulierten Ziele in der Stunde erreicht werden. Keine Unterrichtsstunde sollte ohne Ertrag sein. Ich achte aber auch auf das Unterrichtsklima, auf die Streuung, d. h., ob alle Schüler/-innen in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden, auf die methodische Vielfalt, die Nutzung moderner Medien und – soweit ich das beurteilen kann – darauf, ob alles fachlich richtig ist. Viele Pädagogen/-innen, viele Wissenschaftler haben sich Gedanken darüber gemacht, was guten Unterricht auszeichnet. Ich glaube, ihr wisst es am besten.“
Welche Auswirkungen der Pandemie hat Ihnen am meisten zu schaffen gemacht?
„Am schlimmsten war natürlich, dass ich phasenweise noch nicht einmal mehr Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte in meiner Schule hatte. Ich war jeden Tag am LG, gemeinsam mit Herrn Gruber, einigen Schulleitungsmitgliedern, den Sekretärinnen und den Hausmeistern. Es war kein gutes Gefühl, durch leere Gänge zu gehen und in leere Klassenzimmer zu schauen. Ich bin sehr froh, dass wir uns seit eineinhalb Jahren wieder im Präsenzunterricht befinden, auch wenn ich der Meinung bin, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist, sondern in der Schule nachwirkt. Noch nie waren so viele Schüler/-innen und auch Lehrkräfte krank wie in den letzten Wochen. An manchen Montagen hatten wir in diesem Schuljahr morgens im Sekretariat über 100 Krankmeldungen. Das sind 10 Prozent der Schüler/-innen. An einzelnen Tagen fehlten fast 20 Lehrkräfte. Das war für uns alle ausgesprochen belastend.“
Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Veränderungen des Leiniger-Gymnasiums während Ihrer Zeit als Lehrerin?
„Verändert haben sich die gesellschaftlichen Randbedingungen. Und auch das hat – wie die Pandemie – Auswirkungen auf Schule. Wir haben andere Familienstrukturen, das Freizeitverhalten der Schüler/-innen ist ein anderes und es gibt mittlerweile Themen, Probleme, die als ich in Schule anfing, noch keine Rolle gespielt haben. Vielleicht waren sie auch da, aber wir haben sie nicht wahrgenommen. Viele Schüler/-innen – habe ich den Eindruck – sind heute sehr belastet, physisch und psychisch. Natürlich sind es auch die Schüler/-innen, mit denen ich vorwiegend zu tun habe.“
Haben Sie in Ihrer Laufbahn als Schulleiterin etwas erreicht, worauf Sie stolz sind?
„Das mit dem „Stolz“ ist ja so eine Sache. Ich habe vorhin erwähnt, dass es eine der vornehmsten Aufgaben von Schulleiter/-innen ist, Schule zu gestalten. Aber niemand gestaltet Schule alleine. Das kann immer nur in Kooperation mit den Mitgliedern der Schulgemeinschaft gelingen. Alles, was wir in den letzten 9 1⁄2 Jahren erreicht haben, ob es die flexible Nachmittagsbetreuung ist, der bilinguale Zug im Fach Englisch oder ob es die Erfolge im Bereich der Digitalisierung sind, immer war es eine Gemeinschaftsleistung. Schulleiter/-innen setzen Impulse und müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit Ziele erreicht, umgesetzt werden können. Von der ersten Stunde an war es mein Anliegen, als Schulleiterin Dinge möglich zu machen, nicht zu verbieten. So habe ich beispielsweise an meinem ersten Tag als Schulleiterin die Schilder entfernt, die es verboten haben, durch den Verwaltungsflur zu gehen. Vor meiner Zeit durfte man den Flur, in dem mein Büro ist, nur betreten, wenn man ins Lehrerzimmer oder ins Sekretariat wollte. Wenn man von dem A- in den B-Bau wollte, musste man einen Stock hoch- bzw. hinuntergehen. Ich fand das „merkwürdig“ und nicht mehr zeitgemäß.“
Wie haben Sie unsere Partnerschule in Ruanda in Erinnerung und was fanden Sie dort am schönsten?
„Die Reise nach Afrika gehört zu den ganz besonderen Erlebnissen in meiner Zeit als Schulleiterin. Und natürlich waren es die Begegnungen mit den Menschen in Ruanda, die außergewöhnlich waren. Nie werde ich unsere Ankunft in der Partnerschule vergessen, da die gesamte Schule an unserem Empfang teilgenommen hat. Dass ich im Akagera-Nationalpark noch einmal mit Isomatte im Zelt schlafen musste, gehört zu den Dingen, auf die hätte verzichten können. Auch wenn die Natur natürlich unbeschreiblich war.“


Was ist Ihre liebste Geschichte aus Ihrer Schulzeit?
„Ich glaube, ich erzähle immer wieder von meinem Englischunterricht in der Oberstufe. Sehr wahrscheinlich, um meine bescheidenen Englischkenntnisse zu rechtfertigen. Ich weiß gar nicht, ob ihr wisst, dass ich selbst Schülerin am LG war. Das ist übrigens auch eine meiner Lieblingsgeschichten. In der MSS hatte ich damals Deutsch, Französisch und Geschichte als Leistungskurse gewählt und war in einem Englischgrundkurs gelandet, in dem wenig motivierte Mitschüler/-innen saßen. Unterrichtet wurden wir damals von Herrn Sauer, dem Vater von Frau Habenberger, der ebenfalls Lehrer und Studiendirektor am LG war. Zusammen mit einer Mitschülerin beschwerte ich mich – wie peinlich – schriftlich über seinen Unterricht. Als ich 2004 als Mittelstufenleiterin zurück an das LG kam, erzählte er mir – ich hatte diese Geschichte längst vergessen – dass er sich noch genau erinnere und den Brief noch zu Hause habe.“
Was haben Sie schon Witziges in Ihrer Zeit hier erlebt?
„Ich erlebe – glücklicherweise – fast jeden Tag etwas Witziges. Tage, an denen es nicht zu lachen gibt, sind keine guten Tage. In Schule gibt es nichts, was es nicht gibt. Auch viel Situationskomik. So erinnere ich mich beispielsweise an den Fünftklässler, der damals in meinem Deutschunterricht so in seine Stillarbeit vertieft war, dass er, als er mir eine Frage stellen wollte, mich „Mama“ nannte. Ihm war das natürlich unendlich peinlich, uns hat es eher amüsiert, aber ich darf es heute erzählen, da er längst erfolgreich sein Abitur abgelegt hat und ich ihn zur „Adoption“ freigegeben habe. Witzig war zum Beispiel auch, als im Rahmen der Pandemie eine Schülerin zu mir kam und mir eine E-Mail gab, die für mich gedacht war. Diese Schülerin ist noch auf der Schule und heißt – wie ich – mit Nachnamen „Diehl“. Und von diesen kleinen Geschichten könnte ich tausende erzählen, Gott sei Dank!“
Was werden Sie am meisten vermissen?
„Am meisten werde ich vermissen, dass um mich herum immer Leben ist. Wenn man täglich mit 1050 Schülerinnen und Schülern und über 80 Lehrkräften zusammen ist, kann es zu Hause schon sehr still und manchmal – befürchte ich – auch einsam sein. Am wenigsten werde ich übrigens nach 34 Jahren Schuldienst die Korrekturen vermissen, vor allem die der Deutschaufsätze!“
Haben Sie bereits Pläne für die Zukunft?
„Zunächst einmal werde ich im Februar mit Freunden ins Elsass fahren. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, und das war nicht nur der Pandemie geschuldet. Ich freue mich darauf, wieder mehr Zeit für Privates und auch für mich ganz persönlich zu haben, auch für meine Familie.“
Was möchten Sie der Schulgemeinschaft noch mit auf den Weg geben?
„Ich hoffe, dass es gelingt, weiter gute Schule zu machen, und dass die Menschen, die am LG sind, die Schüler/-innen, die Lehrkräfte, die Eltern, auch das schulische Personal, sich an der Schule wohlfühlen und sich mit dem LG identifizieren können. Ein gutes Schulklima war mir immer besonders wichtig. Inwieweit es mir in den 9 ½ Jahren, in denen ich Schulleiterin war, gelungen ist, dies zu verwirklichen, wird jede/jeder für sich unterschiedlich bewerten. Ich auf jeden Fall habe mich am LG, egal in welcher Funktion und Rolle, ob als Schülerin, Mutter oder Schulleiterin, immer wohlgefühlt.“


Das Interview führten Michele Lang und Luise Jones (MSS 11).
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